Run-Off in der Lebensversicherung: Viel Lärm um nichts!?

Unternehmensverkäufe sind gewöhnliche Vorgänge in der Wirtschaft. Die Deutsche Bank trennte sich von Teilen ihrer Investmentgesellschaft und Siemens brachte seine Medizintechniksparte an die Börse. Nun trennt sich eben die Generali Gruppe von einem großen Teil ihres Lebensversicherungsgeschäfts in Deutschland, na und? Nun, ganz so geräuschlos scheint das nicht abzulaufen, denn diese Transaktion ist eng mit dem Begriff „Run-Off“ verknüpft, der aktuell landauf, landab sehr heiß und kontrovers diskutiert wird.

Was ist eigentlich ein „Run-Off“?

Zunächst bedeutet Run-Off in der Versicherungsbranche lediglich, dass zu einem Teilbestand von Verträgen keine neuen Verträge mehr hinzukommen, ein Unternehmen in dem betreffenden Tarif also kein Neugeschäft mehr macht. Das ist absolut nichts Neues, sondern „business as usual“, denn so kommen beispielweise zu dem Bestand an Rentenversicherungen mit einem Rechnungszins in Höhe von 2,75 % p. a. aktuell einfach keine neuen Verträge mehr hinzu. Ganz im Gegenteil, durch Todesfälle oder Kündigungen wird der Bestand dieser Versicherungen kleiner und läuft nach und nach aus.

Der Run-Off, der in der aktuellen Diskussion jedoch im Fokus steht, ist ganz anderer Art. Hier werden ganze Unternehmen oder einzelne Bestände eines Unternehmens an ein anderes Unternehmen verkauft.

Der „echte“ Run-Off

Beim „echten“ Run-Off unterscheidet man zwischen der internen und der externen Variante.

Beim internen Run-Off werden diverse Bestände (z. B. alle klassischen Lebensversicherungen) auf eine einzelne Gesellschaft innerhalb einer Versicherungsgruppe übertragen. Diese Gesellschaft macht kein Neugeschäft und versucht möglichst effizient die ganzen Verträge zu verwalten. Die Ergo Gruppe hat sich kürzlich für diesen Weg entschieden. Die zu ihr gehörende Victoria Leben ist schon seit 2010/2011 ohne Neugeschäft, also seit Jahren bereits im (internen) Run-Off.

Beim externen Run-Off werden grundsätzlich zwei Varianten unterschieden: Bei der ersten werden einzelne Bestände von einem Versicherer auf eine sogenannte „Abwicklungsplattform“ übertragen. Man spricht hierbei von einer Bestandsübertragung. Bei der anderen Variante wechselt ein gesamtes Unternehmen komplett den Besitzer („Gesellschaftsübertragung“). Es ist gerade der externe Run-Off, der besonders in der Diskussion ist.

Externer Run-Off in der deutschen Lebensversicherung

Vor allem drei Gesellschaften haben sich im Zusammenhang mit einem externen Run-Off in der Lebensversicherung bislang einen Namen gemacht: Athene (neu: Athora), Frankfurter Leben und Viridium. Zusammen verwalten diese „Plattformen“ derzeit rund zwei Millionen Verträge.1

Der kürzlich verkündete Deal zwischen Generali und Viridium hievt den externen Run-Off jedoch in eine neue Dimension. Der Presse war zu entnehmen, dass es sich bei der Transaktion um rund vier Millionen Verträge handeln soll.In Summe würden damit in Deutschland nach diesem Deal rund sechs Millionen Leben-Verträge von Abwicklungsplattformen verwaltet werden, allein rund fünf Millionen Verträge von Viridium.

Gemessen an den rund 84 Millionen Verträgen bei den deutschen Lebensversicherern ist dies mit weniger als 8 % immer noch nur ein Bruchteil oder anders gesagt: Das Potenzial ist noch groß!3

Der Run-Off spaltet die Nation

Auch die Versicherungsbranche ist gespalten. Während Branchengrößen wie die Nürnberger, die R+V und die Allianz sich ganz klar gegen einen (externen) Run-Off ausgesprochen haben, gibt es Vertreter, etwa ERGO und Generali, die öffentlich den externen Run-Off zur Option gemacht haben. Während sich ERGO letztlich für die interne Variante entschieden hat, geht Generali nun den externen Weg. Als Folge schlagen die Verbraucherschützer Alarm, allen voran die üblichen Verdächtigen unter den Meinungsmachern.

Betrachten wir den Run-Off doch einfach mal sachlich

Rein sachlich ist ein Lebensversicherer nichts anderes als ein Servicedienstleister oder eine Serviceplattform, die deinem einzelnen Kunden die Teilnahme an einem „Ausgleich im Kollektiv“ ermöglicht. Der „Ausgleich im Kollektiv“ ist die wahre Superkraft der Versicherungsindustrie, die es einem Individuum ermöglicht, ein für sich alleine nicht oder nur schwer tragbares (finanzielles) Risiko auf ein Kollektiv zu verteilen.

Die zentralen Aspekte und Aufgaben einer solchen „Serviceplattform“ liegen in der effizienten Verwaltung der Verträge und der gesamten operativen Abwicklung (Prämien, Leistungen usw.), im Management des Kollektivs (also der Versicherungsrisiken) sowie in der Verwaltung der Kundengelder (also der Kapitalanlagen).

Wenn sich ein Lebensversicherer dieses Geschäft und die Erbringung dieser Services nicht mehr zutraut, kann er als Weg den externen Run-Off wählen. Einzelne Bestände oder das ganze Unternehmen gehen dann an eine Abwicklungsplattform.

Bei einer solchen Plattform handelt es sich, wie bei dem Lebensversicherer auch, um ein Versicherungsunternehmen. Das heißt, eine Abwicklungsplattform unterliegt denselben Gesetzen und derselben Aufsicht wie der bisherige Versicherer. Es gelten dieselben Spielregeln, insbesondere auch für die Überschussbeteiligung. Rein auf dem Papier ändert sich, außer vielleicht die Anschrift des Versicherers, nichts, so wie bei dem Schokoriegel, der auf einmal „Twix“ hieß.

Nicht nur Kopf, sondern auch Herz und Bauch

Die Gefühlsebene und eine positive Emotionalisierung von Versicherungen hat die Branche völlig verschlafen. Stattdessen sehen wir immer noch oder immer mehr Kampagnen, die den Kunden vermeintlich in den Fokus rücken und darauf abzielen, Versicherungen als verständlich zu deklarieren.

Eine Versicherung hat einen emotionalen Charakter, besonders oder gerade in der Lebensversicherung, weil es um Altersvorsorge, einen langfristigen Horizont, um Sicherheit und letztlich auch „um viel Geld“ geht. Eine Bestandsübertragung von einem Kfz-Versicherer auf einen anderen lässt einen Kunden vermutlich ziemlich kalt. Dank Internet und Vergleichsplattformen ist ein jährlicher Wechsel heutzutage ohnehin nicht unüblich. Doch spätestens bei der Altersvorsorge hört der Spaß auf!

Allein schon der Begriff „Run-Off“ oder „Abwicklungsplattform“ ist denkbar schlecht gewählt. Beide Begriffe sind zu technisch und bei der Aussprache schwingt schon etwas Negatives mit. Dank der aktuellen Presse und Meinungsmache werden die Begriffe mit Endlager für Giftmüll, Totengräbern und dergleichen assoziiert.

Der Kunde bleibt König

Ein Wettbewerb um neue oder auch bestehende Kunden ist gut, da er in der Regel für den Kunden vorteilhaft ist. Das gilt auch für den Run-Off. Für Kunden eröffnet sich ein Potenzial für höhere Überschussbeteiligungen.

Eine Abwicklungsplattform setzt moderne Technologie ein. Damit haben die alteingesessenen Versicherer häufig noch Berührungsängste oder es fehlt ihnen einfach die Fantasie, diese neuen technischen Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen. Moderne Technologie und eine effiziente Verwaltung werden enorm Kosten sparen. Zudem kann die Abwicklungsplattform eine bessere Kapitalanlagepolitik betreiben und hat vielleicht auch die Versicherungsrisiken, dank größerer Kollektive, besser im Griff.

Als Folge der gesetzlich geregelten Überschussbeteiligung werden davon vor allem die Kunden profitieren.

In der Presse wird dagegen immer nur von den Risiken des Run-Off für die Kunden gesprochen. Es ist von einer unklarer Motivation der (ausländischen) Investoren die Rede und auch davon, dass die Gefahr besteht, dass die Kunden „ausgepresst“ werden und einen schlechteren Service erhalten.

Eins ist jedoch klar, auch die Abwicklungsplattform hat ein Interesse, dass der Kunde möglichst lange bei der Stange bleibt. Ohne Kunden sind Versicherer und auch Abwicklungsplattformen überflüssig. Der Kunde bleibt also König!

Der Vermittler wird zum Kümmerer

Es kann die Stunde des Vermittlers werden, weil er den Informations- und den sich ergebenden Beratungsbedarf beim Kunden stillen kann. Statt in Deckung zu gehen, kann er proaktiv seine Kunden ansprechen und sich um deren Fragen und Sorgen kümmern. Das kann ein ausgezeichneter Beratungsanlass sein. Es ist daher auch zu erwarten, dass sich das eine oder andere InsurTech auf diese Kundengruppe fokussieren wird.

Zudem erscheint es recht natürlich, dass eine Run-Off-Plattform früher oder später wieder Neugeschäft machen wird. In einer Welt, in der die Daten des Kunden Gold wert sind, muss eine ökonomisch motivierte Plattform – und das dürften alle sein – zwingend mehr aus der Kundenbeziehung machen. Sie wird mehr wollen, als nur die bisherigen Verträge zu verwalten. Auch beim Neugeschäft wird der Vermittler dann eine Rolle spielen.

Das hat sich die Branche selbst eingebrockt

Die genauen Gründe und Überlegungen eines Versicherers, seine Dienste nicht mehr anzubieten, sind wahrscheinlich recht individuell. Es können Einschätzungen über die zukünftige Entwicklung des Marktes sein oder auch mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten in den Disziplinen Verwaltung, Produkte, Vertrieb oder Kapitalanlagen.

Zweifelsfrei tragen die Entwicklungen am Kapitalmarkt und auch die rasch wechselnden regulatorischen und technischen Rahmenbedingungen maßgeblich dazu bei, dass das traditionelle Geschäfts- und Betriebsmodell auf der Kippe steht. In der Tat sind die Gewinnaussichten beim traditionellen Leben-Geschäft in den letzten Jahren dramatisch gesunken.

Ein Unternehmen ist für sein Geschäfts- und Betriebsmodell selbst verantwortlich und sollte es hin und wieder hinterfragen und anpassen. Nur darauf zu hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen oder die Politik alle Probleme lösen wird, ist zu wenig. Leider hat man aber das Gefühl, dass genau diese Haltung in vielen Unternehmen vorherrscht. Statt das Geschäfts- und Betriebsmodell zu erneuern und zu erweitern, wird weiterhin am traditionellen Geschäft und mit aller Kraft am Status quo festgehalten.

Der Run-Off ist daher nur ein Gesicht der längst überfälligen Marktkonsolidierung. Wie ein Staubsauger werden die Abwicklungsplattformen weitere Bestände und Unternehmen aufsaugen und so selbst zu Top-10-Lebensversicherungsgruppen werden.

Ein Run-Off in Form einer Branchenlösung zu realisieren, hat die Branche völlig verschlafen. Die kleinen Unternehmen sind vermutlich zu sehr mit zu vielen Themen, wie Solvency II und Kapitalmarkt, beschäftigt und die Großen fokussieren sich auf sich selbst und hängen der Illusion nach, dass das Thema Run-Off sie selbst nicht berühren wird. Doch das Thema berührt zahlreiche andere Lebensversicherer und vor allem den gesamten Markt und alle Kunden!

Der Run-Off wird massiven Einfluss auch auf das Neugeschäft haben

Die Branche hat die neuen Wettbewerber selbst erschaffen und macht sie nun auch noch groß. Dass die neuen Wettbewerber auch bald Neugeschäft machen werden, erscheint absolut natürlich – nur sie werden es effizienter und besser als die traditionellen Platzhirsche machen.

Geradezu irrwitzig erscheint dann auch die Idee von Versicherungsunternehmen, auf der einen Seite Bestände – und damit Kunden – verkaufen und anderseits weiterhin Neugeschäft schreiben zu wollen, und das am besten noch mit den „verkauften“ Kunden. Diese Rechnung wird nicht aufgehen! Weder Kunden noch Vermittler werden da mitspielen. Vermittler tun gut daran, sich nun noch genauer zu überlegen, welchem Unternehmen sie in Zukunft ihr Neugeschäft anvertrauen können und wollen.

Wer macht Pandoras Büchse wieder zu?

Das Thema Run-Off kommt langsam in der breiten Bevölkerung an. Es wird schon längst im Bekanntenkreis diskutiert – und dies häufig nicht sachlich. Dabei können sich durch einen externen Run-Off durchaus auch Chancen für Kunde und Vermittler ergeben. Problematisch ist, dass nicht nur das Vertrauen in ein einzelnes Unternehmen zur Diskussion steht, sondern das Vertrauen in die gesamte Leben-Branche auf dem Spiel steht. Dieser muss es gelingen, den Populismus rund um das Thema einzudämmen, denn sonst drohen nicht nur Abgänge im Bestand, sondern auch weniger Neugeschäft – und gerade dort haben es die traditionellen Lebensversicherungsprodukte aktuell und in Zukunft ja schon schwer genug.

Die etablierten Lebensversicherer tun gut daran, beim Thema Run-Off entweder zusammenzuarbeiten oder zumindest mit weiteren Kooperationspartnern, wie etwa Banken, Rückversicherern und IT-Anbietern, den internen Weg zu gehen, wenn sie mittelfristig noch relevant und präsent sein wollen.


procontra Heft April/Mai 2018.

Pressemitteilung von Viridium vom 5. Juli 2018.

www.gdv.de, Stand per Ende 2017, [Seite 18].

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