„Vertrauen ist für die Versicherungswirtschaft zentral“

In Krisenzeiten wächst das Misstrauen. Dies kann die Beziehung zwischen Versicherungsdienstleistern und ihren Kunden beeinträchtigen. Wir haben mit der Vertrauensforscherin Antoinette Weibel über die wichtige Wirtschaftskraft Vertrauen gesprochen – welche Faktoren sie begünstigen und warum sich jedes Unternehmen mehr an der alten Maxime der Tugendhaftigkeit orientieren sollte.

 

Frau Professor Dr. Antoinette Weibel ist eine international renommierte Vertrauens- und Motivations-Forscherin und Ordinaria für Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Schwerpunkte ihrer Forschungsarbeit sind Vertrauens- und Motivationsmanagement sowie die tugendhafte Organisation.

 

 

 

 

 

 

Canada Life: Corona, Inflation und der Krieg in der Ukraine – viele Menschen sind angesichts der aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zutiefst verunsichert und sorgen sich um ihre Zukunft. Wie wirkt sich das auf ihr Vertrauen aus?

Antoinette Weibel: In sicheren Zeiten navigieren wir mit unserem Vertrauen im Autopiloten durch den Alltag. Wir arbeiten mit Kollegen, Partnern, Kunden und Unternehmen zusammen, ohne ständig bewusst darüber nachzudenken, ob und inwiefern wir ihnen vertrauen können. Geraten wir in eine Krise, wird dieses habituelle, routinebasierte Vertrauen gestört. Existenzielle Krisen, wie wir sie derzeit erleben, schüren Ängste. Wenn Menschen sich unsicher und schutzlos fühlen, tritt die Vertrauensfrage vehement in den Vordergrund: Sehe ich einen Akteur, der in der momentanen Situation weiß, wohin es geht? Der mich und meine Sorgen ernst nimmt? Mitgefühl zeigt? Auf dessen Wort ich mich verlassen kann?

Was bedeutet das für Unternehmen der Versicherungswirtschaft?

In jeder Krise liegt eine Chance. Insbesondere im deutschsprachigen Raum besteht ein großes Bedürfnis nach Risikoabsicherung und Vorsorge. Versicherungsunternehmen genießen deshalb per se einen hohen Buyer’s Trust. Geben sie in Zeiten wie diesen zusätzlich Orientierung und Halt, wird dies die Kundenbeziehung nachhaltig stärken.

Welche Faktoren sind für die Vertrauensbildung wichtig?

An erster Stelle steht die Integrität. Erleben Kunden, dass Unternehmen ehrlich, offen und fair mit ihnen umgehen und immer verlässlich agieren, wächst ihr Vertrauen. Das Wohlwollen, stets das Beste für ihre Kunden zu tun, ist ein weiterer entscheidender Faktor für eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung. Selbstverständlich spielt daneben die Kompetenz des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden eine wichtige Rolle. Wer nicht sachkundig erscheint, dem vertraue ich nicht mein Geld, geschweige denn meine Zukunft an.

Welchen Stellenwert hat Kundenvertrauen in der Beratung der Makler?

In Beratungsgesprächen ist das sogenannte interpersonelle Vertrauen ein zentraler Aspekt. Tritt der Makler sympathisch auf? Wirkt er authentisch? Tut er das, was er sagt? Interessiert er sich für meine Bedürfnisse und Ziele oder ist er nur auf einen schnellen Abschluss aus und verspricht mir das Blaue vom Himmel? Die Persönlichkeit und der Charakter des Maklers haben vor allem am Anfang einer Kundenbeziehung starken Einfluss auf die Vertrauensbildung.

Und später? Wie steht es um die Vertrauensfrage in langjährigen Kundenbeziehungen?

Vertrauen hat immer mit Erwartungen zu tun. Beispielsweise zählen die Klienten darauf, dass ein unabhängiger Makler die für sie besten Optionen zusammenstellt. Sie erwarten, dass er sie transparent über Vorteile und Risiken informiert und ihnen Einblick in seinen Auswahlprozess gewährt. Sie gehen in Sachen Vertrauen gewissermaßen in Vorleistung. Je häufiger ihre Erwartungen erfüllt werden, desto schneller wird ihr Vertrauen im Autopiloten-Modus laufen.

Was passiert, wenn Erwartungen unerfüllt bleiben?

In solchen Situationen ist es essenziell, dass der Makler ehrlich kommuniziert. Was waren die Ursachen? Vertrauen bedeutet Verletzlichkeit. Offen zu eigenen Schwächen zu stehen, schließt dies ein. Menschen können nicht alles wissen.

Wir sehen: Vertrauenswürdigkeit ist harte Arbeit.

Absolut, sowohl der einzelne Mensch als auch Unternehmen müssen ihren Charakter zeitlebens weiterentwickeln – und zwar in die richtige Richtung. Wir brauchen mehr tugendhafte Organisationen, die Integrität leben und die moralische Sensitivität ihrer Mitarbeitenden umfassend fördern. Auch wenn das alles andere als trivial ist: Die Arbeit lohnt sich. Für die Versicherungswirtschaft ist Vertrauen zentral. Nur wenn diese wichtige Wirtschaftskraft existiert, werden Kunden langfristige Geschäftsbeziehungen eingehen.

 

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