Steigende Zinsen und Anleihen: Diese Zusammenhänge sollten Sie verstehen

Gastbeitrag von Dr. Klaus Mühlbauer:

Die Zinsen steigen kräftig und schnell. Bereits zu Jahresbeginn überraschten die explosionsartig gestiegenen Baufinanzierungszinsen viele Immobilieninvestoren. Von Privatanlegern zunächst unbemerkt blieb der rasante Renditeanstieg und der damit einhergehende Kursrutsch an den Anleihemärkten. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöhte jüngst ihren Leitzins um 0,75 Prozentpunkte. Einen solch großen Zinsschritt hat es nie zuvor in der Geschichte der EZB gegeben. Inhaber von Renten- und Mischfonds sehen den „Renten-Crash“ vor allem an der Wertentwicklung ihrer Fondsanteile. Was beeinflusst Anleiherenditen? Und warum sollte der Einfluss möglicher weiterer Zinserhöhungen auf die langfristige Entwicklung von Mischfonds Anlegern keine schlaflosen Nächte bereiten? Darüber hat sich Dr. Klaus Mühlbauer, Referent für Kapitalmarktseminare, Gedanken gemacht.


Dr. Klaus Mühlbauer ist Kapitalmarktexperte mit langjähriger Börsen- und Vertriebserfahrung. Seit 2013 ist er als selbstständiger Unternehmensberater, Buchautor und Referent für Kapitalmarktseminare tätig. In unserem Online-Magazin beleuchtet er den Finanzmarkt und teilt sein Investment-Know-how.

 

 

 

 

 

Renditen festverzinslicher Wertpapiere: Das ist aktuell wichtig!

Vor dem Hintergrund dramatisch gestiegener Teuerungsraten haben sich im EZB-Rat die „Falken“ gegen die „Tauben“ durchgesetzt. Die „Fraktion der Greifvögel“ befürwortet eine restriktive Geldpolitik, während die Gegenseite für eine eher lockere Geldpolitik plädiert. Höhere Leitzinsen entwickeln für bereits begebene Anleihen große Signalwirkungen. Anleihekurse sinken und gegengleich steigen deren Renditen:

Für Anleiheschuldner wie Staaten oder Unternehmen ebenso wie für deren Gläubiger gilt: „Der Preis räumt den Markt.“ Die Höhe des Zinses – der Zins ist schließlich der Preis des Geldes – entscheidet darüber, ob Schuldner und Gläubiger auf den Bondmärkten übereinkommen.

Gläubiger verleihen Geld nur dann, wenn sie für mögliche einzugehende Risiken durch Risikoprämien entlohnt werden. Risiken können vor allem begründet sein in der

Je schlechter die Bonität von Schuldnern ist, desto höher fallen Risikoprämien und damit Renditen von Anleihen aus.

Anleiherenditen ausgewählter Länder unterschiedlicher Bonitäten

Land (Schuldner)Bonität (Standard & Poor’s)Rendite 10-jährige Anleihe
DeutschlandAAA1,75 %
FrankreichAA2,30 %
SpanienA2,90 %
ItalienBBB4,02 %
Quellen: Euro-Staaten: Rating der Kreditwürdigkeit 2022 | Statista; Bloomberg (Stand 16.09.2022)

Je länger die Laufzeit von Anleihen ist, desto höher ist das Risiko der Zins- und Rückzahlung. Risikoprämien und Renditen nehmen zu. Auch die Zinssensitivität steigt mit zunehmenden Laufzeiten. Bereits kleine Zinsänderungen führen zu großen Veränderungen dieser Anleihekurse.

Renditen deutscher Staatsanleihen mit zunehmender Laufzeit

2 Jahre5 Jahre10 Jahre30 Jahre
1,52 %1,64 %1,75 %1,76 %
Quelle: Bloomberg (Stand 16.09.2022)

Gläubiger und Schuldner – wer bevorzugt welche Laufzeit?

Auch wenn eine alte Börsenweisheit besagt: „Gläubiger haben ein längeres Gedächtnis als Schuldner!“, kommen bezüglich der Laufzeit von Anleihen Käufer und Verkäufer von Anleihen durch ihre zukünftigen Erwartungen überein: „Börse handelt Zukunft.“

Gehen Schuldner davon aus, dass die Zinsen ein hinreichend niedriges Niveau erreicht haben und kaum weiter sinken, bevorzugen sie lange Laufzeiten ihrer Verbindlichkeiten. Damit erlangen sie Planungssicherheit und schreiben die niedrigen Zinsen für lange Zeit fest. Haben im Gegenzug Gläubiger die Erwartungshaltung, dass die Zinsen weiter sinken, akzeptieren sie ebenfalls lange Zeithorizonte. Für entsprechende Zinszahlungen sind sie bereit, lange Zeit auf die Verfügbarkeit ihrer Mittel zu verzichten.

Berühmt sind in diesem Zusammenhang Staatsanleihen geworden, deren Laufzeit 100 Jahre (!) beträgt: Mexiko (1,5 Mrd. €), Österreich (6 Mrd. €) und Nordrhein-Westfalen (3 Mrd. €) sind 3 prominente Anleiheschuldner solch ultralanger Laufzeiten.

Schuldner von 100-jährigen Staatsanleihen

ISINFälligkeitNominalzins
Mexiko (€)XS121828910315.03.21154,00 %
Österreich (€)AT0000A1XML220.09.21172,10 %
NRW (€)DE000NRW0LQ921.03.21192,15 %
Quelle: www.finanzen.net

Die kräftigen Zinssteigerungen der jüngeren Vergangenheit haben zu massiven Kurseinbrüchen dieser langlaufenden Anleihen geführt.

Crash am Rentenmarkt: Renten- und Mischfonds betroffen

Rentenfonds konnten in Zeiten fallender Zinsen weniger durch vereinnahmte Zinsen als vielmehr durch Kursgewinne der enthaltenen Anleihen punkten. Vor allem Anleihen mit langen Laufzeiten haben zu hohen Gewinnen geführt. Mit den Zinserhöhungen der Zentralbanken hat sich das Umfeld für Rentenfonds gedreht: Langlaufende Bonds verbuchen herbe Kursverluste.

Auch die – teilweise beeindruckende – Wertentwicklung von Mischfonds wurde von zwei Seiten positiv befeuert. Steigende Aktienkurse ebenso wie steigende Anleihekurse haben die Mischfondswelt oft als „Performance-Wunder mit geringen Schwankungen“ erstrahlen lassen. Seit dem Zeitpunkt steigender Zinsen haben Mischfonds jedoch gegen doppelten Gegenwind anzukämpfen: gesunkene Aktien- und Anleihekurse.

Dennoch sollten Langfristinvestoren von Mischfonds nicht verzagen. Höhere Schwankungen sind lediglich Ausdruck einer kurzfristig erhöhten Unsicherheit. Bei einer ausreichend langen Anlagedauer könnte insbesondere der Aktienanteil dieser Fondskategorie wieder ein „Performance-Lächeln“ auf die Gesichter von Fondsinhabern zaubern.

Unabhängig davon, ob „Tauben“ oder „Falken“ die Zinsentwicklung beeinflussen – Kurse langlaufender festverzinslicher Wertpapiere werden bei Zinsbewegungen hohe Schwankungen, sprich Volatilität, aufweisen. Und irgendwie passt das ja hervorragend zum Bild fliegender Vögel. Schließlich leitet sich das Wort „Volatilität“ vom italienischen „volare“ ab – und das bedeutet „fliegen“.

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