Historisch niedrige Schwankungen bei Aktienfonds: Was bedeutet das für Anleger?

Gastbeitrag von Dr. Klaus Mühlbauer:

Domenico Modugno und Johnny Dorelli eroberten 1958 mit ihrem Hit „Nel blu, dipinto di blu“ den ersten Platz beim Sanremo-Musikfestival. Später unter dem Titel „Volare“ populär geworden, ist es noch heute einer der bekanntesten Songs Italiens. Auch an den Kapitalmärkten können Marktteilnehmer im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied von „volare“ singen, denn das italienische Wort bedeutet „fliegen“ und der daraus abgeleitete Begriff „Volatilität“ hat sich für Schwankungsrisiken an den Märkten etabliert. Was der beliebte italienische Ohrwurm mit der aktuellen Situation an den Aktienmärkten zu tun hat, dazu hat sich Dr. Klaus Mühlbauer, Referent für Kapitalmarktseminare, Gedanken gemacht.

Dr. Klaus Mühlbauer ist Kapitalmarktexperte mit langjähriger Börsen- und Vertriebserfahrung. Seit 2013 ist er als selbstständiger Unternehmensberater, Buchautor und Referent für Kapitalmarktseminare tätig. In unserem Online-Magazin beleuchtet er den Finanzmarkt und teilt sein Investment-Know-how.

Keine Rendite ohne Risiko

Die bekannte Redensart „Ohne Fleiß kein Preis!“ lässt sich für Investitionen an den Kapitalmärkten treffend in „Ohne Risiko keine Rendite!“ umdeuten. Ertrag und Risiko sind untrennbar miteinander verbunden – sie sind wie die beiden Seiten einer Medaille.

Während Erträge durch gestiegene Vermögenswerte in der jährlichen Standmitteilung von Fondspolicen leicht abzulesen sind, gestaltet sich das Messen und Darstellen von Risiken als komplex. Schließt man den Totalverlust als größtmögliches, jedoch sehr unwahrscheinliches Risiko eines jeden Investmentfonds aus, haben sich Schwankungen (Volatilität oder auch „Vola“) zur Darstellung von Risiken herauskristallisiert.
Berechnet werden Kursschwankungen mithilfe der Standardabweichung1. Dieser Begriff ist durchaus wörtlich zu nehmen. Auf standardisierte Weise werden die Abweichungen der Fondskurse von ihrem Mittelwert errechnet. Schwankungen bedeuten Abweichungen nach oben ebenso wie nach unten.

Ein kurzes Beispiel mit lediglich 5 Fondskursen zeigt die Berechnungsweise:

Fondskurse (Summe: 225)Das arithmetische Mittel 225 : 5 = 45 wird vom jeweiligen Kurs abgezogenErgebnisseDie Ergebnisse werden quadriert, um Minuszeichen „zu eliminieren“ (Summe: 400)
55–45+10102 = 100
50–45+552 = 25
50–45+552 = 25
40–45–552 = 25
30–45–15152 = 225
Quelle: Manfred Steiner, Christoph Bruns: Wertpapiermanagement; Jürgen Tietze: Einführung in die Finanzmathematik

Das errechnete Ergebnis (400) wird nun dividiert durch 5 (Fondskurse) minus 1:

400 : (5 – 1) = 100

Schließlich muss noch das während des Rechengangs notwendige Quadrieren „rückgängig“ gemacht werden, indem man die Wurzel aus dem Ergebnis zieht. Die Wurzel aus 100 ist 10.

Für Kundengespräche ist die Interpretation des errechneten Ergebnisses entscheidend. Die errechnete Standardabweichung für diesen beispielhaften Investmentfonds von 10 % bedeutet, dass dieser Fonds mit 10 % um seinen eigenen Mittelwert schwankt. Investmentfonds mit hoher Volatilität gelten als risikoreicher als diejenigen mit geringeren Schwankungen. Fonds mit einer Schwankung von 8 % sind folglich als risikoärmer und solche mit 12 % als risikoreicher einzustufen. Ein sich am MSCI World orientierender internationaler Aktienfonds hatte in der Vergangenheit typischerweise eine Volatilität von 15 bis 18 %.2

Risikodarstellung und Risikowahrnehmung

Die Wahrnehmung von Schwankungsrisiken hängt unmittelbar mit ihrer Darstellung zusammen.

Quelle: Eigene Berechnungen

Die drei Graphen A, B und C beziehen sich auf den Kursverlauf eines fiktiven Aktienindex im Kalenderjahr 2020.

In diesem Jahr erlebten wir den schnellsten Crash der Weltgeschichte. Deutlich zu erkennen ist das bei Variante A, denn dieser Kursverlauf basiert auf täglichen Kursfeststellungen. Bei der weniger „gezackten“ Variante B wurden wöchentliche Kurse zugrunde gelegt und bei Variante C Jahreskurse. Derselbe Index, derselbe Zeitraum. Offensichtlich ist: Die Frequenz der Kursfeststellung hat entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Volatilität. Legt man nicht nur den Jahresanfangs- und den Jahresendkurs eines Investmentfonds zugrunde, sind Schwankungen an den Märkten völlig normal.

Plötzlich war die Vola weg!

So gering wie momentan war die Volatilität jedoch schon lange nicht mehr. Beim Deutschen Aktienindex DAX erreicht die 6-Monats-Volatilität von 6,9 % ein historisches Tief seit seiner Einführung im Jahr 1988.3

Schwankungen („Vola“) ausgewählter Indizes (in %)
Quelle: www.finanzen.net; eigene Darstellung

Betrachtet man längere Zeiträume, sieht man steigende Schwankungen an verschiedenen ausgewählten Märkten:

Wenn Schwankungen das allgemein anerkannte Maß für Risiken an den Börsen sind und das Schwankungsniveau aktuell sehr niedrig ist, bedeutet das, dass auch die Risiken am Aktienmarkt derzeit als niedrig einzustufen sind?

Eher nicht, denn Kursschwankungen entstehen durch die Handelbarkeit von Wertpapieren. Vor allem in seitwärts und abwärts tendierenden Märkten waren in der Vergangenheit stärkere Schwankungen festzustellen. Selbst Optimisten gehen nicht von schwankungsarmen, dauerhaft steigenden Märkten aus. Auch wenn in der Vergangenheit langfristig steigende Kurse das Bild der Aktienmärkte prägten, gehört eine „gesunde“ Vola einfach zum Aktienmarkt dazu.

Von Schwankungen profitieren: Cost-Average-Effekt

Bei regelmäßigen Investitionen können Anleger von Schwankungen sogar profitieren. Schließlich legen sie die Kaufzeitpunkte (z. B. monatlich) ebenso fest, wie den zu investierenden Eurobetrag. Lediglich die Anzahl der zu kaufenden Fondsanteile ist variabel. Bei Schwankungen kaufen Investoren folglich antizyklisch wenige Fondsanteile bei steigenden und viele bei fallenden Märkten. Entscheidend ist dabei, dass am Ende des Betrachtungszeitraums die Fondskurse nach oben gehen. Dann nämlich wird das gesamte erworbene Paket an Fondsanteilen viel wert.

Am besten gehen Sie in den kommenden Tagen auf Ihre Kunden zu und sprechen mit ihnen über Renditechancen durch Schwankungen bei ihren Fondspolicen. Regelmäßiges Investieren kann sich richtig lohnen.

Gerade in inflationären Zeiten sind ausreichend hohe Renditen zur Abfederung der Teuerung notwendig. Nur wer Chancen auf auskömmliche Renditen in Aussicht hat, sollte auch bereit sein, die dafür notwendigen Risiken einzugehen und zu profitieren. Der frühere Bundespräsident Walter Scheel sprach dazu prägnante Worte:

„Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts!“


1 Standardabweichung • Berechnung, Beispiele · [mit Video] (studyflix.de)
2 MSCI World Index
3 Risikokennzahl Volatilität – was Anleger beachten müssen (boerse-frankfurt.de)

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