Gesetzliche Rentenversicherung und private Vorsorge: Kombination statt Wettstreit der Systeme
Gastbeitrag von Dr. Klaus Mühlbauer:
Natürlich gibt es immer wieder kurzfristig dringliche Herausforderungen, wie beispielsweise die übermäßige Teuerungsrate. Zusätzlich gilt es jedoch, langfristige wichtige Themen fest im Blick zu behalten. Dazu zählt auch die eigene Altersvorsorge. Schließlich wird mit der Deutschen Rentenversicherung (DRV) eine der Säulen finanzieller Altersversorgung zunehmend „wackeliger“. Zu diesem Schluss kommt die Deutsche Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht. Was die Reformvorschläge bezüglich der DRV mit der Notwendigkeit privater Altersvorsorge zu tun haben? Darüber hat sich Dr. Klaus Mühlbauer, Referent für Kapitalmarktseminare, Gedanken gemacht.
Dr. Klaus Mühlbauer ist Kapitalmarktexperte mit langjähriger Börsen- und Vertriebserfahrung. Seit 2013 ist er als selbstständiger Unternehmensberater, Buchautor und Referent für Kapitalmarktseminare tätig. In unserem Online-Magazin beleuchtet er den Finanzmarkt und teilt sein Investment-Know-how.
Gesetzliche Rente: Ursprung und aktuelle Entwicklungen
Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte es in Deutschland an Mitteln, um ein kapitalgedecktes Altersvorsorgesystem aufzubauen. Die Rentenreform von 1957 sah daher ein Umlageverfahren vor. Bei diesem versorgt die arbeitende Bevölkerung Rentner finanziell. Ein großer Vorteil dieses Systems war: Es konnte sofort in Kraft treten.
Die Beitragseinnahmen sind abhängig von
- der Anzahl der Beitragszahler sowie
- der Höhe des Lohnniveaus.
Die Ausgaben bestimmen sich nach
- der Anzahl der Rentner sowie
- der Dauer der Rentenzahlungen.
Wer 1957 das 65. Lebensjahr vollendete, hatte eine durchschnittliche Restlebenserwartung von etwa 14 Jahren (Frauen) bzw. 12 Jahren (Männer). Mit steigender Lebenserwartung gehen längere Zeiträume an Rentenzahlungen einher. Wurde 2010 durchschnittlich 18,5 Jahre lang Rente ausbezahlt, waren es 2020 bereits 20,2 Jahre.*
Deutsche Rentenversicherung hängt am staatlichen Tropf
Das idealtypische Umlageverfahren funktioniert schon lange nur noch eingeschränkt. 1991 wurden noch 81 % der Rentenauszahlungen durch Beitragseinnahmen gedeckt. Inzwischen resultiert mehr als ein Drittel der Rentenzahlungen aus Steuereinnahmen.
Jährliche Ausgaben der DRV und Bundeszuschuss
Jahr | Ausgaben DRV in € | Bundeszuschuss in € | Anteil Bundeszuschuss in % |
---|---|---|---|
2020 | 338,3 Mrd. | 102,6 Mrd. | 30,3 |
2021** | 332,9 Mrd. | 114,7 Mrd. | 34,4 |
2022** | 332,9 Mrd. | 116,2 Mrd.*** | 34,9 |
*** 116,2 Mrd. € Bundeszuschuss entsprechen fast einem Viertel des Bundeshaushalts von 496 Mrd. €.
Quellen: www.epaper-drv.de; www.bundestag.de; www.bundesrechnungshof.de
Erschwerend kommt hinzu, dass bald die „Baby-Boomer“ (Jahrgänge 1955–1965) in Rente gehen. Damit fallen reichlich Beitragszahler weg, die dann zu Rentenempfängern werden. Die fehlenden Beitragseinnahmen müssen durch Steuermittel aufgestockt werden.
Deutsche Rentenversicherung und die „Tücken“ des Kapitalmarkts
Das Umlageverfahren basiert auf monatlichen Zahlungsströmen. Oft existieren Differenzen zwischen eingenommenen und auszuzahlenden Beträgen. Um regelmäßige monatliche Rentenzahlungen sicherzustellen, wurde als Puffer eine Bestandsgröße eingeführt. Diese Nachhaltigkeitsrücklage (Schwankungsreserve) wird auf Konten bei Geschäftsbanken gehalten. Ihr maximaler Anlagezeitraum beträgt 380 Tage.
Auch die DRV kann sich aber nicht den allgemeinen Rahmenbedingungen des Kapitalmarkts entziehen. Daher werden für diese Rücklage Strafzinsen fällig.
Höhe Nachhaltigkeitsrücklage sowie geschätzte Strafzinszahlungen der DRV
Jahr | Nachhaltigkeitsrücklage in € | Strafzinszahlungen (Schätzung bei –0,5 %) in € |
---|---|---|
2020 | 37,1 Mrd. | 18,6 Mio. |
2021 | 39,1 Mrd. | 19,6 Mio. |
„Rentensorgen“ der Deutschen Bundesbank
In ihrem Monatsbericht von Juni 2022 veröffentlichte die Deutsche Bundesbank, vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, alternative Ausgestaltungsszenarios zur gesetzlichen Rente. Diese setzen sowohl an Beitragseinnahmen (u. a. steigende Beitragssätze) als auch an Leistungen (u. a. späteres Renteneintrittsalter) an.****
Ob und wie diese Vorschläge gegebenenfalls aufgegriffen werden, ist ungewiss. Eines ist jedoch sicher: Für künftige Rentner wird es finanziell nicht besser werden.
Dabei kann ein Mix aus staatlichen und privaten Altersbezügen so passend und so einfach sein. Denn die unterschiedlichen Systeme – Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren – lassen sich ideal kombinieren.
Stromgrößen und die Stärke individueller Bestandsgrößen
Einzahlungsphase (Arbeitsleben) | Auszahlungsphase (Rente) |
|
---|---|---|
Umlagefinanziertes System | Kollektive Stromgröße | Kollektive Stromgröße |
Kapitalgedecktes System | Individuelle Bestandsgröße | Individuelle Stromgröße |
Einen kapitalgedeckten Baustein der Altersvorsorge kann jeder Investor individuell aufbauen. Er lässt sich nach Gesichtspunkten wie dem passenden Chance-Risiko-Profil oder dem individuell gewichteten ESG-Anteil steuern.
Kombination aus kollektivem Umlage- und individuellem Kapitaldeckungsverfahren
Praxisrelevante Punkte | Umlagefinanziertes System | Kapitalgedecktes System |
---|---|---|
Bequemlichkeit (z. B. Zeitaufwand) | Automatismus gegeben (+) | Automatismus muss geschaffen werden (–) |
Renditechancen | Keine Kapitalmarktchancen (–) | Chance auf gute Renditemöglichkeiten (+) |
Risiko von Marktschwankungen | Keine Kapitalmarktrisiken (+) | Akzeptanz von Schwankungen notwendig (–) |
Die finanzielle Grundlage im Alter kann nicht mehr das Umlageverfahren allein sein. Mit Blick auf die obige Tabelle stellen wir fest, dass sich Plus und Minus in jeder Zeile aufwiegen. Eine Kombination beider Verfahren gleicht also die jeweiligen Nachteile des einen durch die Vorteile des anderen Systems aus.
Beim Aufbau eines kapitalgedeckten Systems sollte man darauf achten, langfristig renditeversprechende Anlageklassen einzubinden. Das können zum Beispiel Aktien sein. Oft wird der passende Aktienanteil nach folgender „Faustformel“ berechnet:
100 – Lebensalter = Aktiengewichtung
Ein heute 40-Jähriger sollte beispielsweise einen Aktienanteil von (100 – 40 =) 60 % in seinem Altersvorsorgevermögen halten.
Jeder will alt werden, aber keiner will alt sein
In Ergänzung zu diesem zahlenbasierten Ansatz können Sie Kunden die Kombination der angeführten Alterssicherungssysteme auch visuell sehr gut näherbringen. Nutzen Sie dazu auf Ihrem Smartphone eine „Alterungs-App“. Diese projiziert aktuelle Fotos in die Zukunft. Untersuchungen haben ergeben: Menschen setzen sich deutlich intensiver mit finanzieller Vorsorge auseinander, wenn sie sehen, wie sie an ihrem 80. Geburtstag aussehen könnten.
Dieses bildhafte „Anstupsen“ („Nudging“) basiert auf wissenschaftlichen Ergebnissen. 2017 erhielt der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler für seine Forschungen zu genau diesem Thema, „Nudging“, den Nobelpreis. Und so wissen wir heute: Unser Verhalten wird auch ohne wirtschaftliche Anreize beeinflusst.
Private Altersvorsorge lohnt sich so oder so! Der amerikanische Schriftsteller Tennessee Williams formulierte den Zusammenhang von Geld und Alter sehr treffend: „Du kannst jung sein ohne Geld, aber du kannst ohne Geld nicht alt sein!“
Nicht verpassen! Online-Seminar mit Kapitalmarktexperte Dr. Klaus Mühlbauer
Am 25. August 2022 beleuchten Dr. Klaus Mühlbauer und Christoph Schröder, Investmentexperte von Canada Life, das aktuelle Marktumfeld. Melden Sie sich an und erfahren Sie mehr über die Auswirkungen der derzeitigen Situation auf den Kapitalmarkt und die Besonderheiten der Geld- und Sachwerte. Zudem zeigen Ihnen die Experten neue Ansätze für Ihre Altersvorsorgeberatung.
* https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Sterblichkeit/Lebenserwartung.html
**** https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht-juni-2022-892740