Experten-Talk: Welche Auswirkungen haben Strafzins, ESG-Kriterien und die ETF-Diskussion auf Finanzberater?

Gastbeitrag von Dr. Klaus Mühlbauer

Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte im März 2016 den Leitzins auf 0 %. Und auch nach über fünf Jahren hat die Geldtheorie niedriger Zinsen weiter massive Auswirkungen auf die Anlagepraxis vieler Vorsorgesparer. Strafzinsen werden letztlich für viele zur Realität! Besonders bei einer mit 23 % aktuell enorm hohen Sparquote privater Haushalte. Was bedeutet die Nullzins-Welt für die Altersvorsorge und den Mix aus Geld- und Sachwerten? Wie können Kunden gezielt mithilfe von ESG-Kriterien angesprochen werden? Und warum haben sowohl ETFs als auch aktiv verwaltete Fonds ihre Berechtigung? Zu diesen Fragen haben sich Christoph Schröder, Direktionsbeauftragter Investment bei Canada Life, und Dr. Klaus Mühlbauer, Referent für Kapitalmarktseminare, in ihrem Halbjahres-Experten-Talk ausgetauscht. In diesem Artikel haben sie ihre Erkenntnisse zusammengefasst


Dr. Klaus Mühlbauer ist Kapitalmarktexperte mit langjähriger Börsen- und Vertriebserfahrung. Seit 2013 ist er als selbstständiger Unternehmensberater, Buchautor und Referent für Kapitalmarktseminare tätig. In unserem Online-Magazin beleuchtet er den Finanzmarkt und teilt sein Investment-Know-how.

 

 

 

 

Wichtiger Renditeschritt zum entspannten Ruhestandsglück

Das eigene Sparziel für den Ruhestand zu erreichen, ist vergleichbar mit dem Erreichen des Gipfelkreuzes bei einer Bergwanderung. Diese Wanderung zur Altersvorsorge kann man in drei Komponenten für den Erfolg unterteilen: Zeit, Geld und Rendite.

Wenn man früh mit dem Sparen und Investieren beginnt, kann aus kleinen monatlichen Beträgen langfristig ein beachtliches Vermögen entstehen. Nach dem Motto „viel hilft viel“ benötigen Spätstarter für ihre Altersvorsorge genügend hohe (Einmal-)Beiträge. Das „Hilfsmittel“ Rendite ist die wohl unterschätzteste Komponente der Altersvorsorge. Dabei kann man mit ausgiebiger Rendite viel Zeit und Geld sparen!

In einer Welt ohne Zinsen bieten Geldwerte oft nur eine geringe Chance auf Erträge. Daher bleiben nur Sachwerte – allen voran Aktienfonds – als mögliche „Rendite-Lieferanten“. Damit man sein individuell passendes „Rendite-Paket“ vom Lieferdienst in Empfang nehmen kann, muss man auch in Sachwerte investieren.

Diese Aussage ist vor allem in einer Nullzinswelt in Verbindung mit dem oft geäußerten Wunsch einer 100%igen Kapitalgarantie besonders wichtig. Garantien werden über Geldwerte dargestellt. Sie benötigen hauptsächlich Zinsen, während mögliche Rendite-Komponenten Sachwerte sind. Je niedriger die Zinsen, desto mehr wird das angesparte Vermögen für Kapitalgarantien in Geldwerten angelegt. Für Investitionen in Sachwerte – und damit in Rendite-Chancen – bleibt kaum noch etwas übrig.

Kunden brauchen Kümmerer!

Vielen Anlegern hilft es schon, wenn man ihnen die Zusammenhänge von Geld- und Sachwerten aufzeigt und erklärt. Andere Kunden brauchen weitere Unterstützung, damit sie sich für ihre Altersvorsorge dauerhaft motivieren können.

Die immer stärker in den Fokus rückenden Strafzinsen auf Kontoguthaben können dabei zum auslösenden Momentum werden. Solange die EZB Strafzinsen erhebt, wird es keine sichtbaren Zinsen für Tagesgelder oder Sparbücher geben. Finanzberater sollten sich aber des negativen Charakters dieser „verbalen Einflugschneise“ bewusst sein.

Eine positive Möglichkeit der Kundenansprache könnte ausgerechnet ein Bürokratiemonster aus Brüssel bieten. Die kürzlich in Kraft getretene Transparenzverordnung stellt nachhaltiges Wirtschaften bei Finanzdienstleistern in den Vordergrund. Festgemacht wird das an den drei Bereichen „ESG“:

Durch ESG-Kriterien entstehen vielfältige Möglichkeiten für einen GesprächsEinStieG bei Kunden: Sie bieten die elegante Möglichkeit, individuelle Ertragsziele mit kollektiven Sozial- und Umweltzielen zu verbinden.

ESG kann bei der Altersvorsorge als Risikomanagement verstanden werden. Schließlich unterliegen Unternehmen, die ESG-konform wirtschaften, geringeren Risiken. Der VW-Dieselskandal mit dem folgenden Absturz des VW-Aktienkurses ist dabei nur eines von zahlreichen Beispielen.

ESG-Kriterien halten momentan vermehrt sowohl bei aktiv verwalteten als auch bei passiv gesteuerten Investmentfonds Einzug. So wurden beispielsweise 2020 von den 353 neuen ETFs in Europa 152 mit ESG-Fokus aufgelegt.

Was ist besser: aktives oder passives Fondsmanagement?

Beim Verwalten von Investmentfonds entwickeln sich immer mehr zwei „Fan-Gemeinden“. Die eine ist von der Überlegenheit des aktiven Portfolio-Managements überzeugt, die andere setzt auf passive Indexnachbildung (ETFs). Diese Gliederung in zwei „Silos“ kann man kritisch betrachten. Schließlich haben beide Management-Philosophien ihre Berechtigung: In effizienten Märkten wie in den USA kann ein ETF ein sehr passendes Instrument der Vermögensanlage sein. In Schwellenländern dagegen ist ein aktiv verwalteter Investmentfonds eventuell der bessere Weg für das Investieren.

Und Smart-Beta-Strategien verbinden schon seit einiger Zeit aktive menschliche Entscheidungen mit dem Algorithmus-basierten Nachbau von Indizes: Sie wollen das Beste der zwei Welten „aktives“ und „passives“ Fondsmanagement vereinen. Smart-Beta-ETFs beispielsweise bilden einen speziell gewichteten Index nach und wollen damit mehr Rendite oder weniger Schwankungen als ein Standardindex erzielen.

Eine passende Antwort auf die Frage: „Aktiv oder passiv?“ lautet deshalb: „Aktiv und passiv!“ Denn ein wesentliches Ziel bei der Altersvorsorge ist die gezielte Streuung des Vermögens. Diese benötigt erfahrungsgemäß eine laufend gute Finanzberatung. Und jedes Werkzeug ist immer nur so gut wie die Handwerker, die es bedienen!

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