Der (garantierte) Rentenfaktor: Mythos, Legende oder gar nur ein Märchen? – Teil 1

Es ranken sich viele Mythen und Sagen rund um den Rentenfaktor von Rentenversicherungen. Es wird daher Zeit, diesen ein wenig auf die Spur zu gehen und die Wichtigkeit des Rentenfaktors bei der Auswahl einer Rentenversicherung genauer zu beleuchten.

Im ersten Teil meines Artikels schauen wir uns an, was ein Rentenfaktor ist, wie er angewendet wird und welche „Pferdefüße“ versteckt sein können.

Der Rentenfaktor funktioniert wie ein Wechselkurs

Wenn eine Rentenversicherung teilweise oder ganz zur Verrentung kommt, wird der Rentenfaktor wichtig. Dies gilt zunächst einmal vorrangig für die rein fondsgebundenen Tarife. Denn für diese kann bei Vertragsbeginn aufgrund der unsicheren späteren Ablaufleistung kein fester Rentenwert in Euro angegeben werden.

Der Rentenfaktor ist aber auch immer dann relevant, wenn ein Produkt beispielsweise nur eine (partielle) Beitragsgarantie vorsieht. Dies ist etwa bei Hybrid- oder Select-Produkten der Fall. Auch dabei kennt man während der Ansparphase noch nicht das gesamte vorhandene Kapital beim Rentenbeginn.

Der Rentenfaktor wird häufig als ein Geldbetrag pro 10.000 Euro Guthaben angegeben. Beträgt dieser beispielweise 25 Euro, bedeutet dies, dass der Kunde pro 10.000 Euro Guthaben zum Rentenbeginn monatlich 25 Euro Rente erhält. Bei einem Guthaben von zum Beispiel 200.000 Euro zum Rentenbeginn ergibt sich daraus dann eine monatliche Rente von 500 Euro.*

Der Rentenfaktor ist also eine Art Wechselkurs, mit dem bei Rentenbeginn vorhandenes Kapital in eine lebenslange Rente umgewandelt wird.

Bei einem Vergleich von Rentenfaktoren muss man genau aufpassen. Denn ein Rentenfaktor kann sich beispielsweise auch nur auf 1.000 Euro Guthaben beziehen und als Jahresrente angegeben sein. Der Rentenfaktor aus dem Beispiel von oben läge dann bei 30 Euro. Dieser Rentenfaktor ergibt dann natürlich aber die gleiche monatliche Rente in Höhe von 500 Euro.**

Doch wovon hängt eigentlich die Höhe des Rentenfaktors ab?

Die Zutaten eines Rentenfaktors bestimmen dessen Höhe

Die Berechnung des Rentenfaktors basiert auf den sogenannten Rechnungsgrundlagen. Zentral sind hier die Annahmen zum Garantiezins, die Kosten sowie die Annahmen zur Lebenserwartung. Letzteres erklärt vor allem auch, warum die Höhe des Rentenfaktors vom betrachteten Alter abhängt.

Für aktuelle Neuverträge wird beim Rentenfaktor typischerweise eine unternehmenseigene Sterbetafel auf Basis der aktuellen Rententafel der Deutschen Aktuarvereinigung und ein Rechnungszins von 0,9 % p. a. angewendet.

Generell gilt: Je vorsichtiger ein Unternehmen diese Annahmen wählt, desto niedriger fällt der Rentenfaktor aus. Umgekehrt gilt, dass je höher der Rentenfaktor ist, die resultierende Startrente bei Rentenbeginn umso höher ausfällt.

Demnach kann man schon sagen, dass ein höherer Rentenfaktor grundsätzlich besser ist. Doch aufgepasst, es gibt nicht nur „den“ einen Rentenfaktor. Auch wenn ein Rentenfaktor sich „garantiert“ nennt, bedeutet das noch lange nicht, dass er tatsächlich in Stein gemeißelt ist.

Wie viele Rentenfaktoren gibt es eigentlich?

Da haben wir zunächst einmal den aktuellen Rentenfaktor. Obwohl dieser Wert in den Vertragsvorschlägen der Lebensversicherer recht prominent in den Fokus gerückt wird, ist er relativ unwichtig. Er bildet die Basis für die in den Angeboten aufgeführte spätere, mögliche Startrente sowie deren weitere Entwicklung. Doch der Aussagegehalt ist nicht mehr als die einer beliebigen Illustration. Grund dafür ist, dass dieser Rentenfaktor auf Basis der bei Vertragsbeginn aktuellen Rechnungsgrundlagen ermittelt wird. Diese Rechnungsgrundlagen können sich jedoch während der Sparphase verändern. Der aktuelle Rentenfaktor ist nicht garantiert. Er sagt letztlich nur aus, wie der Rentenfaktor aussehen würde, wenn genau „jetzt“ der Rentenbeginn wäre.

Dann gibt es in der Regel noch den garantierten Rentenfaktor. Dieser liegt (deutlich) unterhalb des aktuellen Rentenfaktors. Er wird häufig als Prozentsatz des aktuellen Rentenfaktors angegeben. So kann beispielsweise in einem Angebot eines Lebensversicherer stehen, dass der garantierte Rentenfaktor 60 % des aktuellen Rentenfaktors beträgt.

Hier ist Vorsicht geboten! Ein Unternehmen mit weniger vorsichtigen Annahmen und einer 80%igen Garantie des Rentenfaktors kann letztlich eine höhere Garantie aussprechen als ein Unternehmen mit vorsichtigeren Annahmen und einer 100%igen Garantie. Entscheidend ist nicht die Höhe des garantierten Prozentsatzes, sondern die Höhe des absoluten garantierten Rentenfaktors.

Das Ganze hat aber noch einen weiteren „Pferdefuß“: „Garantiert“ bedeutet hier nur „bedingt garantiert“. Denn über den Paragraphen 163 des Versicherungsvertragsgesetzes kann dieser „garantierte“ Rentenfaktor unter Einbeziehung eines Treuhänders geändert werden.

Bei einer nicht vorhersehbaren nachhaltigen Senkung der Kapitalmarktrendite oder einer unerwartet starken Erhöhung der Lebenserwartung kann mit Zustimmung eines unabhängigen, aktuariellen Treuhänders der garantierte Rentenfaktor angepasst werden.

In der Tat ist dies in der Vergangenheit auch bereits schon vorgekommen. Dies erscheint jedoch auch wenig verwunderlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die (garantierten) Rentenfaktoren von Rentenversicherungen, die vor 15 oder 20 Jahren abgeschlossen wurden, mit einem hohen Rechnungszins und einem weniger langen Leben kalkuliert wurden. Es ist daher zu erwarten, dass auch zukünftige Rentengenerationen mit der Anpassung der garantierten Rentenfaktoren konfrontiert sein werden.

Nur wenn in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Lebensversicherers explizit auf die Möglichkeit dieser Anpassung verzichtet wird, kann man von einem „echten“ oder „harten“ garantierten Rentenfaktor sprechen. In wie weit diese Garantie aber der Zukunft tatsächlich standhält, bleibt abzuwarten. Vor allem im Kontext des aktuellen Zeitgeists: Banken, die den Negativzins an ihre Kunden weitergeben, oder etwa Sparkassen, die Prämiensparverträge mit hoher Verzinsung kündigen. Oder auch Pensionskassen, die Leistungen kürzen (müssen).

Letztlich gibt es noch einen weiteren und sehr relevanten Rentenfaktor: den tatsächlichen Rentenfaktor. Dabei handelt es sich um den Rentenfaktor, der zum tatsächlichen Rentenbeginn mit den dann gültigen Rechnungsgrundlagen ermittelt wird.

Also alles Rentenfaktor, oder was?

Wer für das Alter vorsorgen will, möchte gerne möglichst genau wissen, in welcher Höhe er durch ein Vorsorgeprodukt die Versorgungslücke im Alter schließen kann. Daher trifft ein Rentenfaktor eigentlich genau den Kundenwunsch. Gerade bei fondsgebundenen Tarifen hat der Kunde bestenfalls eine vage Vorstellung von der möglichen Ablaufleistung. Er hat aber in der Regel kein Gefühl für die sich dann daraus ergebende lebenslange Rente. Der Rentenfaktor kann daher eine hilfreiche Größe sein. Und auf dessen Größe kommt es auch schon an – aber letztlich erst bei Rentenbeginn und danach.

Für eine Rente braucht es erst einmal Guthaben

Damit bei Rentenbeginn eine Rente gezahlt werden kann, muss zum Rentenbeginn zunächst einmal Guthaben vorhanden sein. Wie viel Guthaben beim Rentenübergang vorhanden ist, ist insbesondere abhängig von der Produktart. Neben der Kostenstruktur spielt gerade das Kapitalanlagemodell („Performance-Motor“) und der tatsächliche Verlauf des Kapitalmarkts die entscheidende Rolle.

Zur Auswahl stehen derzeit Klassik, moderne Klassik, fondsgebundene Tarife oder auch Select- oder Hybrid-Produkte. In früheren Artikeln habe ich mich mit diesen Produktgattungen schon einmal genauer beschäftigt, beispielsweise im #Klartext-Artikel 10 aus diesem Sommer.

Damit also möglichst viel Rente „hinten“ rauskommt, sollte möglichst viel Guthaben generiert werden. Der Performance-Motor in der Sparphase ist daher ein ganz wichtiges Kriterium bei der Wahl der Rentenversicherung!

Aus Guthaben wird eine Rente

So einfach und bestechend die Idee des Rentenfaktors auch ist, die vielseitige Praxis macht es dem Vermittler und dem Kunden oft nicht leicht. Unterschiedliche Annahmen, unterschiedliche Garantiehöhen und auch unterschiedliche Bezugsgrößen bei den einzelnen Rentenfaktoren sorgen regelmäßig für Verwirrungen.

Nehmen wir vereinfacht an, dass das gesamte vorhandene Guthaben (inklusive aller Überschüsse) verrentet wird. Bei der Berechnung der tatsächlichen Startrente kommt häufig ein mehrstufiges Verfahren zur Anwendung. Dabei wird bei Rentenbeginn zunächst die garantierte Rente ermittelt. Diese ergibt sich typischerweise aus dem garantierten Kapital (z. B. 80 % der Beiträge) und dem garantierten Rentenfaktor. Falls das Produkt kein garantiertes Kapital vorsieht, kommt eine andere mehr oder weniger sinnvolle Bezugsgröße zum Einsatz, z. B. die Summe der gezahlten Beiträge.

Die so ermittelte garantierte Rente wird dann im Rahmen der sogenannten Günstigerprüfung mit der Rente verglichen. Diese ergibt sich aus dem gesamten vorhandenen Guthaben und dem tatsächlichen Rentenfaktor. Die höhere der beiden ermittelten Renten ergibt letztlich die Startrente. Typischerweise setzt sich diese Startrente aus einem garantierten Teil und einem nicht garantierten Teil (Rentenzuwachs) zusammen.

Diese Vorgehensweise beim Rentenübergang kann dazu führen, dass eine positive Performance der Kapitalanlage in der Sparphase von einer weiter steigenden Lebenserwartung neutralisiert wird. In diesem Fall wird ab Rentenbeginn dann trotz eines Guthabens oberhalb des garantierten Kapitals letztlich nur die garantierte Rente ausgezahlt. Der Rentenzuwachs ist dann gleich null. Wenn nun dann auch noch der garantierte Rentenfaktor mit Hilfe eines Treuhänders „nach unten“ angepasst wird, wird es ganz bitter für den Kunden.

Für die zum Rentenbeginn ausgezahlte Rente sind neben dem vorhandenen Guthaben also gerade die Rechnungsgrundlagen beim Rentenbeginn (also der tatsächliche Rentenfaktor) relevant. Daher kann ein Anbietervergleich und -wechsel vor dem Rentenbeginn durchaus sinnvoll sein.

Beim nächsten Mal schauen wir uns dann an, welche Themen bei einer Rentenversicherung neben den Performance-Chancen in der Sparphase eigentlich wirklich wichtig sind!


*Man teilt das Guthaben durch 10.000 und multipliziert das Ergebnis mit dem Rentenfaktor: 200.000 / 10.000 * 25 = 500
**Man teilt das Guthaben durch 1.000 und multipliziert das Ergebnis mit dem Rentenfaktor. Dieses Ergebnis wiederum muss man noch durch 12 teilen, um letztlich die Monatsrente zu erhalten: (200.000 / 10.000 * 25) / 12 = 500

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