„Die Krise als Chance nutzen“

Seit März 2020 fördert Canada Life am Olympiastützpunkt NRW/Rheinland das PerspektivTeam, das aus jungen Athleten unterschiedlicher Sportarten besteht.

Auch dort belastet die Coronapandemie Leistungssportler und Trainer durch die eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten, ausfallende Wettkämpfe und unsichere Zukunftsaussichten. Sportpsychologen wie Moritz Anderten unterstützen beim Umgang mit der Krise. Im Interview schildert er die wichtigsten Maßnahmen und Erkenntnisse seiner Arbeit.

Herr Anderten, was bedeutet die Coronapandemie für Leistungssportler?

Die Pandemie hat den Trainings- und Wettkampfalltag der Athleten und Trainer komplett verändert. Sie trainieren normalerweise bis zu sechs Stunden täglich und sind im Schnitt alle zwei Wochen auf Wettkämpfen. Zu Beginn der Pandemie konnten sie wochenlang überhaupt nicht trainieren, später nur unter strengen Hygieneauflagen. Turniere wurden abgesagt oder fanden unter Ausnahmebedingungen statt mit strenger Isolation, vielen Testungen und ohne Zuschauer. Diese Situation belastet emotional und mental sehr. Die Folgen können große Motivationsprobleme sein.

Worin besteht die größte physische Belastung?

Problematisch ist es, wenn Sportler keinen Sinn mehr in ihrem Tun sehen. Schließlich definieren sie sich zum großen Teil über ihr Training und über Wettkämpfe, die ihnen Feedback zu ihrem jeweiligen Leistungsniveau geben. In der Pandemie trainieren die Athleten täglich an der physischen und mentalen Leistungsgrenze, oft ohne zu wissen, wofür. Das kann auch dazu führen, dass Karrieren abgebrochen werden. Auch hier setzen unsere sportpsychologischen Interventionen an.

Welche Maßnahmen helfen in dieser Situation?

Es gilt, den Sinn neu zu definieren und zu schauen, worüber man sich über den Sport hinaus noch identifizieren und wie man die Pandemie sinnvoll überbrücken kann. Ein Ansatzpunkt ist, dass sich Sportler stärker auf die Schule, ihre Ausbildung oder ihr Studium konzentrieren und so die normalerweise hohe Doppelbelastung entzerren. Vielen hat es gutgetan, bewusst zu regenerieren und Verletzungen auszukurieren. Das kommt im Wettkampfalltag häufig zu kurz. Ebenso lässt sich die Zeit nutzen, um gezielt an der Technik und an Schwächen zu arbeiten sowie sich Hobbys und Interessen außerhalb des Sports zu widmen. So kann man die Krise als Chance nutzen.

Welche Strukturen haben sich dabei bewährt?

Sportler arbeiten sehr zielorientiert in längeren Zeiträumen von drei bis sechs Monaten. Was vielen jetzt hilft, ist, auf kurzfristige Ziele umzuschalten. Daher habe ich mit Sportlern und Trainern analysiert, wo die Stärken und Schwächen liegen und was konkret verbessert werden sollte. Diese Punkte haben wir als Wochenziele definiert. Das strukturiert den Alltag und bietet einen Rahmen, um gezielt voranzukommen, messbare Ergebnisse zu erzielen und Erfolgserlebnisse zu haben.

Welche speziellen Fragen haben die Sportler des PerspektivTeams in der Pandemie?

Die Sportler des PerspektivTeams sind noch sehr jung. Einige haben vergangenes Jahr ihr Abitur gemacht und standen dann vor der Entscheidung, ob sie ihre sportliche Karriere angesichts der Pandemie weiterverfolgen oder lieber eine klassische Berufslaufbahn einschlagen sollten. Das ist in diesen unsicheren Zeiten auch für die Eltern ein großes Thema.

Wie hat die Krise Ihre Arbeit verändert?

Die Inhalte haben sich verschoben. Normalerweise stehen in meiner Praxis sportbezogene Themen im Vordergrund, wie die mentale Wettkampfvorbereitung und die mentale Vorbereitung auf Gegner. Jetzt geht es zum Großteil um den Umgang mit der Pandemie, um Niedergeschlagenheit, Motivationsprobleme und Ängste angesichts der langanhaltend belastenden Situation.

Welche Erkenntnis nehmen die Sportler aus der Arbeit mit Ihnen mit?

Ich ermuntere sie, die positiven Aspekte im Blick zu behalten. Die Pandemie ist eine Situation, die niemand beeinflussen kann und die alle betrifft – jedoch in unterschiedlichem Maße. Soloselbstständige und Künstler etwa sind in ihrer Existenz bedroht. Dankbarkeit dafür, dass man vergleichsweise privilegiert ist, dass man weitertrainieren, sich auf Schule und Beruf konzentrieren oder Dinge tun kann, für die man sonst keine Zeit hat, entlastet und macht Mut.

Statements der Athleten

Stefanie von Berge, Boxen

„Während der Coronapandemie fällt es vielen von uns Sportlern schwer, dran zu bleiben. Die Wettkämpfe sind es, die uns antreiben. Mal standen Turniere unter strengen Hygieneauflagen in Aussicht, auf die man dann mit ganzer Kraft hintrainiert hat. Leider wurde vieles kurzfristig abgesagt und die Enttäuschung war bitter. Ich halte mir vor Augen, dass kein Training im vergangenen Jahr umsonst war. Alles diente der Vorbereitung auf ein besseres 2021.“

Luke Zenker, Stabhochsprung

„Für mich war Demotivation ein großes Thema, da ich auf kein Ziel hinarbeiten konnte. Die Gespräche mit Moritz Anderten haben mir geholfen, die Motivation hochzuhalten und bei den spontan stattgefundenen Deutschen Meisterschaften Höchstleistungen für den Sieg abzurufen. Er war mein Retter in der Not.“

Hannah Meul, Klettern

„Ich habe versucht, mir kleine Ziele zu setzen und die wenigen Wettkämpfe bestmöglich zu bestreiten. Durch die Kletterwand, die mein Vater in kürzester Zeit zuhause angebracht hat, hatte ich tolle Trainingsbedingungen und eine riesige Motivation. 2020 war eine meiner besten Saisons: Ich wurde Deutsche Meisterin und habe beim Weltcup und bei der Europameisterschaft gut abgeschnitten.“

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