Die deutsche Klassik ist nicht alternativlos

Ich bin ein bekennender Freund der Versicherungs-, insbesondere der Lebensversicherungsbranche. Nur zu gerne adaptiere ich den Edeka-Werbeslogan und verkünde „Ich liebe Lebensversicherungen“.

Damit meine ich natürlich den Versicherungsgedanken an sich und weniger ein konkretes Unternehmen für Lebensversicherungen. Dass ich auch ein Freund von Versicherungsprodukten bin, ist Ihnen wohl bei den schon 14 Artikeln der #klartext-Reihe nicht entgangen.

Als Freund der Branche, der Produkte und der Endkunden fällt es mir besonders schwer zu akzeptieren, dass in Deutschland nach wie vor die Klassik dominiert. Überall wo wir hinschauen, sehen wir einfach nur Klassik und vermeintlich moderne Varianten davon. Statt etwas Neues zu wagen und neue Wege zu gehen, kommt Tag für Tag einer der etablierten Anbieter mit einer überarbeiteten Version eines Hybridproduktes um die Ecke. Und dass, obwohl es doch Alternativen gibt.

Damit meine ich heute aber mal nicht die fondsgebundene Lebensversicherung (FLV). Dank des Börsenabschwungs in Folge der Corona-Pandemie und den jüngsten Turbulenzen um Wirecard ist es kaum vorstellbar, dass sich in absehbarer Zeit eine neue Aktienkultur in Deutschland breitmachen wird. In meinem heutigen Artikel spreche ich von alternativen Konzepten, die dann zum Einsatz kommen sollten, wenn der Kunde eben nicht nur Vollgas am Aktienmarkt geben kann oder will.

In aller Kürze: Was ist noch mal die „Klassik“?

Die klassische Lebensversicherung beruht auf dem Prinzip des Ausgleichs im Kollektiv und über die Zeit. Bei ihr gilt dieses Prinzip sowohl für die Versicherungsrisiken (biometrische Risiken wie Tod, Langlebigkeit oder Berufsunfähigkeit) als auch für Kapitalmarktrisiken (wie etwa Währungsrisiken oder Zinsrisiken). Durch diesen Ausgleich im Kollektiv werden die Risiken, denen ein einzelner Mensch ausgesetzt ist, auf das ganze Kollektiv verteilt.

Der Motor für die Performance einer klassischen Lebensversicherung ist das konventionelle Sicherungsvermögen, früher auch Deckungsstock genannt. Es ist der zentrale Treiber für die Überschussbeteiligung und damit letztlich auch für die Performance einer kapitalbildenden Lebensversicherung – also einer Lebensversicherung, die dazu dient, Kapital für die Altersvorsorge aufzubauen.

Die Prämien der Kunden einer klassischen Lebensversicherung werden in das konventionelle Sicherungsvermögen investiert. Zuvor werden die Kosten für die Verwaltung und den Versicherungsschutz, zum Beispiel die Todesfallleistung oder weitere Zusatzversicherungen, abgezogen. Bei der fondsgebundenen Versicherung fließen die Prämien in die vom Kunden ausgewählten Kapitalanlagen, meistens Dachfonds oder verwaltete Konzepte. Bei der Klassik verwaltet der Lebensversicherer diese Prämienanteile in einem großen Topf, dem konventionellen Sicherungsvermögen, einfach selbst.

Der komplexe Mechanismus der Überschussbeteiligung bei der Klassik beinhaltet auch ein Glättungsverfahren. Das sorgt dafür, dass das Kapitalanlageergebnis des konventionellen Sicherungsvermögens nicht direkt 1:1 an den Kunden weitergegeben, sondern gepuffert wird. Dies sorgt für eine stetige Entwicklung des Vertragsguthabens.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten und die aktuellen Probleme der Klassik

Wenn man sich das konventionelle Sicherungsvermögen einmal genauer anschaut, stellt man fest: Rund 85 % sind im Branchenschnitt in Rentenpapiere, also festverzinsliche Anlagen, investiert. Diese durchaus hohe Quote war in den letzten Jahren relativ stabil auf diesem hohen Niveau.

Das konventionelle Sicherungsvermögen gleicht also bestenfalls einem sehr, sehr defensiven Mischfonds mit kaum nennenswerter Aktienmarktpartizipation von derzeit weniger als 5 %.

Angesichts der niedrigen Marktzinsen und der Tatsache, dass der Löwenanteil der neu zufließenden Kundengelder im Bestands- sowie im Neugeschäft in niedrig verzinste Anlagen investiert wird, stellt sich die Frage: Wie soll dieser Anlagetopf in Zukunft auskömmliche Renditen erwirtschaften?

Viele der am Markt befindlichen Produkte, die als „modern“ bezeichnet werden, also die moderne Klassik, die Select-Produkte oder auch die Hybridprodukte, sind eher nur eine verkappte Klassik, denn sie hängen maßgeblich am Tropf des konventionellen Sicherungsvermögens.

Rückblickend können wir sagen, dass die Bestandskunden der klassischen Lebensversicherung recht zufrieden sein können, weil die Überschussbeteiligung in den letzten Jahren verglichen mit dem Kapitalmarktzins recht ordentlich war. Auch die Neukunden der letzten Jahre freuten sich noch, weil sie ebenso von der „guten alten Zeit“ profitiert haben, zu Lasten der „alten“ Bestandskunden. Dies ist aber ja gerade die Idee hinter dem Prinzip des Ausgleichs.

Problematisch ist jedoch, dass je länger der Zins niedrig bleibt, dieser Vorteil für die Bestands- und Neukunden schwinden wird. Und dies wird leider schneller passieren, als allen Beteiligten lieb sein kann.

Umgekehrt werden sowohl Bestands- als auch Neukunden leiden, falls die Zinsen mal wieder steigen sollten. Dann könnte die ganze Branche leiden, wenn etwa die ganzen Kunden ihre Altverträge bei den Anbietern kündigen.

Die schon lange anhaltende Niedrigzinsphase bringt das System der klassischen Lebensversicherung mehr als nur an den Rand des Leistbaren.

Machen wir eine kurze Zeitreise – in die Vergangenheit!

Früher gab es schon einmal Alternativen zur Klassik. In den 1990ern bis in das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends waren es die sogenannten Indexpolicen, die sich als Alternativen zur Klassik angeboten haben.

Mit den Indexpolicen meine ich die echten Indexpolicen, die auch als „Tranchenprodukte“ bekannt wurden. Als Beispiele gab es etwa im Jahre 2006 die Allianz IndexPolice oder den VermögensPlan 2018 von der Nürnberger. Zahlreiche andere Anbieter waren mit ähnlichen Produkten unterwegs.

Diese Indexpolicen dürfen wir nicht mit den heutigen Select-Produkten verwechseln. Indexpolicen sind zu 100 % nicht klassisch veranlagt. Typischerweise wurde bei den ursprünglichen Indexpolicen die Garantie durch einen externen Kooperationspartner, zumeist eine Bank, ausgesprochen. Indexpolicen waren stets nur ein temporäres Angebot, das nur solange verfügbar war, wie der Vorrat an der Kapitalanlage mit den guten Konditionen reichte. Zudem mussten sich alle Kunden mit der gleichen Vertragslaufzeit begnügen.

Kurz vor der Finanzkrise 2008 schienen die sogenannten Variable Annuities (VA) auch in Deutschland den Durchbruch zu schaffen. Ich erinnere hier zum Beispiel an AXA TwinStar. Die Krise und die hohe Volatilität am Kapitalmarkt haben dem Produktkonzept zumindest in Deutschland weitestgehend ein jähes Ende beschert.

Es ist spannend zu sehen, dass sich die Grundidee dieser beiden Produktkategorien auf internationaler Bühne weiter großer Beliebtheit erfreut. In der Tat haben beide Konzepte weiter ihre Berechtigung und funktionieren durchaus auch im aktuellen Marktumfeld.

Zurück in die Gegenwart: das UWP-Prinzip

Bereits seit der Öffnung der europäischen Lebensversicherungs-Märkte kamen vom Ausland die sogenannten „Unitised-With-Profits“-Produkte (UWP-Policen) auf den deutschen Markt. UWP-Policen gelten im englischsprachigen Raum als die Weiterentwicklung der dortigen „With-Profits“-Produkte (WP-Policen). „With-Profits“ lässt sich mit „am Gewinn der Lebensversicherungsgesellschaft beteiligt“ übersetzen. Wir können die WP-Policen daher als Pendant zur „deutschen“ Klassik ansehen. Das zusätzliche Attribut „Unitised“ bei den UWP-Policen bedeutet, dass die Beteiligung transparent in Anteilseinheiten (units) geführt wird. Unter anderem deshalb gelten UWP-Policen als Weiterentwicklung der WP-Policen.

Von hoher Flughöhe betrachtet, bietet eine UWP-Police Elemente von der Klassik und der FLV. Zu nennen sind die klassischen Elemente wie etwa die einer Garantie sowie die Glättung von Kapitalmarktentwicklungen über die Zeit. Die unmittelbare Beteiligung an Anteileinheiten und dem Kapitalmarkt ist mit einer FLV vergleichbar.

Garantie

Ein wichtiger Bestandteil einer UWP-Police ist die Ausgestaltung der Garantie. Hier sind verschiedene Garantiebausteine denkbar, die auch miteinander kombiniert werden können, zum Beispiel:

Entscheidend ist, zu welchem Zeitpunkt während des Vertrages ein Garantielement gültig ist. Eine Besonderheit bei UWP-Policen ist, dass gewöhnlich die für die Garantien anfallenden Kosten explizit ausgewiesen werden.

Die Art und die Höhe der im Produkt integrierten Garantien haben einen wesentlichen Einfluss auf die Kapitalanlage und deren Zusammensetzung, vor allem auf die tatsächliche Höhe des Aktienanteils.

Kapitalanlage

Die Beiträge des Kunden werden nach Abzug von Kosten in eine separate Kapitalanlage, den UWP-Fonds, investiert. Der UWP-Fonds wird vom Vermögen der Versicherungsgesellschaft getrennt geführt. In der Regel wird er durch eine Kapitalanlagegesellschaft nach Vorgaben des Versicherungsunternehmens aktiv gemanagt.

In der Praxis ist die Anlagestruktur des UWP-Fonds von dem Bestand und der Garantieausgestaltung der Produkte abhängig. Besteht ein Bestand eher aus Einmalbeiträgen und kurzen Laufzeiten, so dürfte die Aktienquote niedriger sein als bei einem ausgewogenen Bestand oder einem Bestand mit überwiegend langfristigen Verträgen und laufender Beitragszahlung. Der UWP-Fonds investiert in der Regel stärker in Aktien als etwa das konventionelle Sicherungsvermögen im Rahmen der „deutschen“ Klassik.

Der Kunde nimmt an der Entwicklung des UWP-Fonds auf zwei verschiedene Arten teil. Zum einen indirekt durch das Glättungsverfahren und zum anderen direkt durch den Schlussbonus und die Wertangleichung. Dazu werden in einem UWP-Fonds die geglätteten und die tatsächlichen Anteilspreise buchhalterisch getrennt voneinander geführt.

Glättungsverfahren

Die geglättete Wertentwicklung wird einmal im Jahr im Voraus deklariert und das aktuelle Vertragsguthaben mit diesem Deklarationssatz verzinst. Wenn die bedingungsgemäßen Voraussetzungen erfüllt werden, kann dieser Zuwachs dem Vertrag später auch nicht mehr entzogen werden.

Die innerhalb des UWP-Fonds tatsächlich erwirtschafteten Gewinne werden also durch das Glättungsverfahren über die Laufzeit verteilt. In Zeiten mit einer sehr guten Performance des UWP-Fonds werden die Gewinne nicht vollständig an die Kunden weitergegeben, sondern in einer Reserve gespeichert. Diese Reserve wird später dann dazu verwendet, um in Zeiten mit schlechter Performance des UWP-Fonds dennoch einen ansprechenden Deklarationssatz für das kommende Jahr bieten zu können.

Das Glättungsverfahren sorgt für eine stetige Wertentwicklung des Vertragsguthabens über die Laufzeit.

Schlussbonus

Der Kunde wird aber auch an der tatsächlichen Wertentwicklung des UWP-Fonds beteiligt, nämlich über den Schlussbonus. Dabei wird der Teil an den Gewinnen des UWP-Fonds, der bisher noch nicht in den jährlichen Zuwächsen enthalten war, dem Vertrag zugeführt.

Dieser Schlussbonus wird je nach Produktgestaltung bei Fälligkeit des Vertrages oder (anteilig) bei vorzeitiger Kündigung gutgeschrieben. Bei den UWP-Policen wird die Wertentwicklung jedes Vertrags exakt nachvollzogen. Daher kann der bis dahin erreichte Vertragsstand mit dem tatsächlichen Wert der zugrunde liegenden Kapitalanlagen einfach verglichen werden. Die positive Differenz wird nach einem definierten Verfahren an den Versicherungsnehmer ausbezahlt. Der Schlussbonus kann, je nachdem wie vorsichtig der Lebensversicherer die jährlichen Deklarationszinsensätze wählt, einen großen Teil der gesamten Auszahlung ausmachen.

Der Schlussbonus belohnt die Versicherungsnehmer, die zu der vereinbarten Vertragsführung stehen, wie zum Beispiel Laufzeit oder Höhe der Beiträge.

Wertangleichung

Neben dem Glättungsverfahren und dem Schlussbonus ist auch die Wertangleichung charakteristisch für UWP-Policen. Bei der Wertangleichung wird bei nicht erfüllten Garantievoraussetzungen der tatsächliche Wert des Vertragsguthaben ausbezahlt, wenn dieser unter dem geglätteten Wert liegt.

Durch die Möglichkeit einer Wertangleichung kann die Kapitalanlage weitaus chancenreicher investiert werden. Es ist nicht nötig, die geglätteten Werte zu jedem Zeitpunkt durch tatsächliche Werte zu decken.

Die Wertangleichung ist ein Schutz der (langfristig) verbleibenden Bestandskunden.

Rendite-Risiko-Profil

Ähnlich wie bei allen anderen Lebensversicherungsprodukten kommt es auch bei der UWP-Police auf die genaue Ausgestaltung an. Es ist daher nicht vermeidbar, sich mit dem konkreten Produkt und Produktdesign zu beschäftigen, um es verstehen und einschätzen zu können.

Rendite-Risiko-Profile sind hier zumindest in puncto Performance-Chancen und Risiken bei der Kapitalanlage hilfreich. Das Rendite-Risiko-Profil nach Volatium® am Beispiel einer am Markt befindlichen UWP-Police liegt zwischen Klassik und reiner FLV. Anhand der Profile ist schnell ersichtlich, dass sie deutlich näher an einer FLV liegt.

Rendite-Risiko-Profile von Klassik, UWP und FLV (Laufzeit 30 Jahre)

Quelle: https://www.morgenundmorgen.com/produkte/versicherer-dienstleister/volatium/

Alternativen zur Klassik sind gefragter denn je – und die Vermittler sind in der Pflicht

Letztlich geht es darum, dass nach aktuellem Stand und Bedarf, ein für den Kunden geeignetes Produkt gefunden wird. Die klassische Lebensversicherung wird dabei für die Mehrheit der angehenden Versicherungskunden nicht die Zukunft bei den Sparprodukten sein.

Wir müssen uns bewusst machen: Es wird nicht der Kunde sein, der die notwendige Wende in der Produktlandschaft in der Lebensversicherung herbeiführen wird.

Ganz einfach, weil er es nicht kann. Allein schon, weil ihm das entsprechende Fachwissen fehlt. Würden sonst über 2.000 Milliarden Euro auf Sparkonten vor sich hingammeln?

Die meisten Versicherer scheinen diese Wende in der Produktlandschaft aber irgendwie auch nicht anstoßen zu wollen oder zu können.

Damit bleibt das Herbeiführen der Wende in der Produktlandschaft in der Lebensversicherung wohl einzig und allein dem Vertrieb überlassen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob und welches der alternativen Konzepte sich in Deutschland in den nächsten Jahren durchsetzen wird. Ich bin auf jeden Fall gespannt!

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